Schnelles Geld durch Coaching?
Unzählige selbsternannte Coaches versuchen auf YouTube, Instagram, Facebook und TikTok ihr Business zu "skalieren" indem Sie mit ihrem Erfolgsimage höchst dubiose Geschäftsmodelle verkaufen. Diesen Trend finden wir nicht "nice" um in der Sprache der geschädigten jungen Erwachsenen zu bleiben. Hilfsansuchen im EVZ nehmen wegen der Coachingabzocke weiter zu. Eine ungeheure Welle an Werbung mit Werde-Schnell-Reich-Anleitungen soll vor allem junge Zuschauer mit zur Schau gestelltem Reichtum zum Mitmachen keilern und überschwemmt Social Media.
Moderne Erben des Charles Ponzi
Das “Geschäftsmodell” des berühmtesten Trickbetrügers der USA Charles Ponzi ist seit den 1920er Jahren namensgebend. Das im Englischen “Ponzi Scheme” genannte Betrugskonzept wird auf Deutsch meist Pyramidenspiel oder Schneeballsystem genannt. Ponzi gelang es in den 1920er Jahren, Investoren davon zu überzeugen, in ein betrügerisches Anlagesystem zu investieren, mit versprochenen traumhaften Renditen und wenig Risiko. Diese Pyramidenschemata sind so organisiert, dass sie die von den neuen Anlegern eingesammelten Gelder an bereits bestehenden Anleger ausbezahlen. Das heißt, sie erwirtschaften Renditen für ältere Investoren, indem sie neue Investoren akquirieren. Eine andere Geschäftsgrundlage hat das Schema nicht. Zur Tarnung des Erfolgsgeheimnisses der frühen Beteiligten wird eine Pro Forma Geschäftsidee vorgeschützt.
Damit die Organisatoren hinter einem solchen Schema möglichst viele neue Investoren anwerben, stellen sie sich als Finanzgenies oder Gurus mit sonstigen Spezialkenntnissen mit vollmundigen Versprechen ins Rampenlicht. Gekonnt wird ein Hype und eine sektenhafte Community konstruiert, mit der immer gleichen Kernbotschaft:
“Wenn ich das kann, dann kannst du das auch, sobald ich dir das Geheimnis verrate.”
Um eine Masse an Neueinsteigern anzulocken, zahlt der engste Kreis für eine gewisse Zeit die versprochene Rendite an alte, bestehende Investoren aus, um ihre in der Regel aggressive Anwerbung mit Erfolgsgeschichten zu befeuern. Die Gewinne aus den Provisionen werden dann als Erfolgsbeweise der Investments dargestellt, und die Zahl der neuen Investoren wächst exponentiell, solange der Glaube an den Erfolg anhält.
Ein klassisches Beispiel - Pulse Empire
Eine investigative Dokumention machte für die ARD die Journalistin Nadia Kailouli über die Networking Marketing Masche "Pulse Empire" der Brüder Endler im Jahr 2019 und unternahm den Versuch über das Phänomen von innen zu berichten. Das Investment Geschäftsmodell funktionierte anfangs mit viel großmäuliger Werbung auf YouTube, Renditen zwischen 5 und 10% wurden versprochen.
Die Leute hinter dem System beriefen sich auf jahrelange Expertise in Blockchain, Crypto - und Direct (oder Funnel) Marketing. Damit ist die Beteiligung an der Gruppe BitClub Network gemeint, wo gegen einige derer Mitglieder Verfahren wegen Betruges gestartet wurden. Pulse Empire war mehr oder weniger eine Kopie des Konzeptes des amerikanischen Bitclub Network, dessen US Betreiber teils verurteilt und inhaftiert wurden.
Dabei wurde unerfahrene Junganleger zu gehypten Events geladen und tätigten über diese Plattform der Brüder Endler Investments in Spekulationsgeschäfte durch den Broker FXB Trading (eingetragen auf Marshal Island) und nicht direkt durch das in Zypern eingetragene Konstrukt Bellatoria Corp LTD, welches hinter Pulse Empire stand. Als der Broker nach kurzer Zeit unerreichbar wurde, gingen die Investitionen verloren und die Plattform Pulse Empire wurde aufgelöst.
Was hat Ponzi mit den Coaching Werbungen auf Social Media gemein?
Ponzis Schneeballsystems ist seit den 1920er Jahren immer wieder abgewandelt worden. Die modernsten Konzepte adressieren oft nicht mehr klassisch Finanzinvestoren wie im Pulse Empire Beispiel, sondern “kleine Leute von der Straße” - sprich in heutiger Übersetzung die “kleinen Leute vor Bildschirmen” und das mit neuartig klingenden aber undurchsichtigen Konstrukten. Social Media mit personenbezogenen Werbestrategien bieten solchen Gurus optimale Bedingungen in der breiten Masse naive oder frustrierte Gemüter im Affekt zu erreichen und um ihr Schema herum einen Hype aufzubauschen. Geblieben ist die Pyramidenstruktur, am Verdienst der Teilnehmer an der Basis schneidet der Initiator mittels Provisionen mit.
Die anfangs amerikanischen Modelle sind auf globalisierter Ebene längst kopiert, auf alle denkbaren Anwendungsfelder des E-Commerce zugeschnitten und in allen Social Media Kanälen wie TikTok, YouTube, Facebook, Instagram usw angekommen. Die US Börsenaufsichtsbehörde SEC unterhält eine Webseite mit zahllosen Videos von Get-Rich-Quick Scam Werbevideos deren Betreiber von ihr verklagt wurden. Anleger können sich über die Warnungen und Finanzsituation von Unternehmen auf der US Seite investor.gov informieren, bevor sie investieren. Leider gibt es für den paneuropäischen Raum kein vergleichbares Warnservice etwa durch die Europäische Antibetrugs Behörde OLAF.
Der American Dream des Tellerwäschers zum Millionär spiegelt sich in global geträumten Online Startup-Projektionen wieder. Man kann von einem regelrechten Coaching Werbegenre sprechen. Beworben werden undurchsichtige Tradingkonzepte, disruptive Social Media Marketingstrategien, Dropshipping und E-Commerce Funnel Marketing Anleitungen, IT Bezogenes wie Domainhandel, Webshops, Kryptowährungen oder unfehlbare Überzeugungstechniken zur Kundenbindung. Besonders im Kommen sind momentan Coachings über das Amazon Affiliate Marketing.
Gemein ist den Angeboten die Überladung mit trendigen englischsprachigen Modephrasen, die vor allem die Undurchsichtigkeit, was in den Schulungen überhaupt verkauft wird, verstärken. Die Frage nach dem worum gehts wirklich, wird mit dem Killerargument des Erfolges übergangen und falls doch hinterfragt wird mit dem Hinweis auf eine bahnbrechende aber exklusive oder geheime Innovation abgeblockt. Allergisch reagieren Macher auf unbequeme Fragen, die das Image des selbstgemachten Hype stören könnten.
Investigative Sendung über falsche Versprechen im Multi Level Marketing. Interview mit Expertin Dr. Claudia Groß und Insiderbericht aus der Direkt Marketing Rekrutierungsveranstaltung "Powerday". Insbesonders wird die Aktivität von Jim Menter beleuchtet, der seinen Teilnehmern Einkünfte von monatlich 10000€ verspricht. Ebenso gilt der Vorwurf den Produkten aus dem Direktvertrieb zum Verkaufszweck unbelegbare Heilwirkungen zuzuschreiben. Die Sendung zeigt dass nur 0,1% der Angeworbenen die versprochenen Gewinne erwirtschaften.
Protzshow und Imitation
Anders als bei den Trading Pyramidensystemen ist bei den Coachings das anfängliche Investment vorerst nicht direktes Geld, sondern als erste Währung wird Aufmerksamkeit gehandelt. Ein Teil der Profitabilität für die Macher ergibt sich auch durch hohe View- und Klickzahlen, die ihnen von der Social Media Plattform finanziell vergütet werden. Je protziger oder emotionaler die Botschaft rüberkommt, desto breitenwirksamer scheint sie zu sein, der provokante Auftritt will das Image des schonungslosen Erfolges verstärken. Da Social Media Kanäle auf virale Trends ausgelegt sind, und deren Algorithmen einer demografischen Zielgruppe bestimmte Werbung und verschränkten Content automatisch einspielen, rollten die früheren Kampagnen personenbezogen vorwiegend auf Männer unter 30 Jahren los. Mittlerweile gibt es aber einen Trend zur geschlechtlichen Ausgewogenheit, spezielle Coachings für Frauen, etwa unter dem Hashtag #girl boss zielen auf weibliche Zuschauerinnen ab. Da einzelne “get rich quick” Kampagnen nicht besonders langlebig sind, muss alles schnell gehen. Zahllose Nachahmer werben nun in ähnlichem Stil und fischen im selben Teich. Imitation ist also das zweite Grundprinzip und vereint die Macher mit ihrer Zielgruppe in dieser Nachahmungsmentalität.
Die Werber haben ihre dubiose Vermarktungsstrategie plump von anderen YouTube Erfolgsgeschichtenverkäufern abgekupfert. Die Kunden hoffen durch Imitation der angeblich nicht dagewesenen Idee der Coaches automatisch zu Geld zu kommen, obwohl dasselbe Konzept paradoxerweise wiederum von ihrem Coach ebenso einfallslos vom Vorbild ("Mentor") eine Ebene höher einfach weitergeben wurde. Wenn man die versprochenen Margen auf aller Teilnehmer durchrechnet, können sich die Gewinne aus mathematischen Gründen gar nicht einstellen. Innovation wird hier nur als Werbewort eingesetzt. Um Erfolg mit geringem Aufwand zu versprechen, werden Handlungs- und Denkschablonen in Aussicht gestellt. Da Anbieter und Interessierte dem gleichen Wunsch nach Reichtum auf einfachstem Weg nacheifern, funktioniert das System auch deshalb so gut, weil Werber und Beworbene sich in dieser gemeinsamen Erwartungshaltung wiederfinden und sich die Interessenten so auf die wirksamste Art angesprochen fühlen. Frühe Mitläufer werden so zu den am meisten verschworenen Komplizen, die für die Expansion des Systems durch Weiterempfehlung sorgen.
Fotostrecke mit Screenshots von Social Media Kanälen und YouTube Werbungen zur Veranschaulichung der Stimmung und Aussagen der Werde-Reich-Coaches:
Die psychologische Trickkiste
Die Kombination Erfolgsstories in niederschwelligen Videobotschaften zeigen zu können, gepaart mit Bedürfnissen nach primitiv dargestellter Belohnung und persönlich wirkender Ansprache auf Social Media, die sich auf Alltagsfrust, unerfüllte Lebenskonzepte und Sehnsüchte nach Befreiung beziehen, ergibt einen psychologisch wirksamen Cocktail, um diese Bedürfnisse in eine Affekthandlung zu leiten.
Wenn ich mitmache und es ist eine Fehlinvestition, dann hab ich etwas Geld verloren. Wenn das Ding aber funktioniert, so wie bei den anderen, und ich nicht mitmache, so verpasse ich meine nicht wiederkommende Möglichkeit und ärgere mich ein Leben lang, denken sich Teilnehmer anfangs und an genau dieser Stelle setzen die Werber ihren emotionalen Hebel.
Zusätzlich werden Elemente von Gruppendynamik ins Feld geführt, die Teilnehmer treffen sich in Whatsapp und Facebook Gruppen und es wird Neueinsteigern suggeriert, sie würden dort Unterstützung bei Supportanfragen erhalten. Den potentiellen Teilnehmer wird in Online-Meetings oder realen Promotion Events vorgekaukelt, Teil einer exklusiven und privilegierten Gruppe zu sein. Nur dieser Gruppe würde Zugang zum Erfolgsgeheimnis gewährt, und die Gruppe motiviert sich gegenseitig und begründet den Hype, der in Folge in weiteren Werbemaßnahmen ausgeschlachtet wird. Wenn Teilnehmer nach einer solchen Veranstaltung gefragt werden, was sie während der Promoveranstaltung konkretes zum Geschäftsmodell gelernt hätten, können sie nur inkohärente Werbephrasen wiedergeben.
Die Jagd nach dem optimierten Ich
Die Bandbreite der Zielgruppe hat sich verändert. Dem Zeitgeist der Selbstoptimierung entsprechend sind moderne “Investoren” nicht mehr unbedingt Leute, die mit klassisch lukrativen Investmentversprechen gelockt werden - das neue Investment ist immer öfter die Verbesserung des eigenen Ich - die eigenen Fähigkeiten, Skills, das eigene ungenutzte Potential.
Dass diese Fähigkeiten in den meisten Fällen am Ende aber zum Schnell-reich-werden durch den Aufbau des eigenen “Online Business” genutzt werden sollen, bleibt das Grundthema aller Werbebotschaften. Der so versprochene Erfolg und damit verbundene Freiheitsgewinn werden in Werbevideos primitiv dargestellt oder endlos wiederholt. Im Bild die Villa, das Luxusauto, der Indoorpool, ein Model, welches den Erfolgstypen unwiderstehlich findet.
Hier verschwimmen dekadente Zurschaustellung von Reichtum mit Wunschträumen von Selbstverwirklichung vermengt mit Appellen aus dem Hamsterrad der öden Lohnarbeit auszubrechen; “Verschwende nicht dein Leben mit deinem schnöden 9 bis 5 Uhr Brotjob! Melde dich an und ich helfe dir da rauszukommen - dich zu befreien! Du musst dir das selbst wert sein! Klicke hier um mehr zu erfahren!”
Social Media Plattformen spielen mit
Die Optimierung des Selbst mit Hilfe von Plattfomen für Onlinekurse wie Udemy, MasterClass oder die Google Zukunftswerkstatt zu verkaufen entspricht völlig dem aktuellen Zeitgeist und die von diesen Anbietern gesponserten Influencerkanäle oder unumgänglichen Werbeeinspielungen auf YouTube sind voll davon. Bei Desinteresse nerven die aufdringlich gestalteten Werbeeinschaltungen von Coaches auf den Plattformen schon binnen kürzester Zeit, man kann sie erst nach einigen Sekunden wegklicken. Das System funktioniert für die Social Media Plattformen aus werbeökonomischer Sicht dermaßen gut, dass dem aktuell massiven Welle an unseriöser Werbung nichts entgegengesetzt wird. Besonders abstrus wirkt es dann, wenn die Coaching Werbevideos sogar vor Videos geschalten werden, die genau über die Maschen selbst aufklären.
Generell werden die Coaching-Konzepte von den Videoplattformen für die Schaltung der Werbung nicht auf Seriosität geprüft. Sobald der YouTube oder Facebook Watch Algorithmus ihren Zuschauer anhand des bisherigen Videoabspiel Protokolls oder aufgrund von Tracker Daten identifiziert haben, wird eine Dauerpräsenz dieser Werbeclips gefahren solange die Kampagne anhält. Coachinganbieter investieren so lange, bis sich kritische Aufklärungsvideos und enttäuschte Kommentare nicht mehr übertönen lassen und das Weiterwerben sinnlos wird. Leider trifft die Coaching Masche auffällig oft leichter bei Personen auf Gehör, die ohnehin schon finanziell schlecht gestellt sind und dann mit Schulden zurückbleiben.
Aufdecker Videos ebenfalls auf YouTube
Die massive Coaching-Videowelle auf YouTube hat natürlich auch eine Vielzahl an Warnvideos auf demselben Medium evoziert, wie zum Beispiel den Kanal von Pocket Money, hinter welchem die Produktionsfirma funk.de im Auftrag des deutschen öffentlichen Rundfunks steht. Mitunter werden diese "Coachinghunter" auf YouTube wie etwa Benedikt Kluth mehrmals verklagt, wenn sie zum Aufklären (Debunking) ansetzen, sei es auch nur mit formellen Einwänden, wie etwa wegen fehlender Bildnachweise so wie es auch bei der ARD Reportage versucht wurde.
Das Einsetzen der zunehmend häufiger werdenden Aufklärungsvideos ist im Widerstreit mit der Beschaffenheit von Social Media an sich. Sie sind der ideale Nährboden für Werde-Schnell-Reich Abzockeversuche, denn das Problembewusstsein der Zielgruppe ist gering, wenn sie in einer thematisch einseitigen und schnelllebigen Blase Inhalte konsumiert.
Die Covid-Pandemie mit ihren wirtschaftlichen Folgen hat zudem die Wunschträume nach Reichtum befeuert und viele potentielle Kunden für viele zusätzliche Stunden vor Bildschirmen gebannt. Allerdings ist zu beobachten, dass die Debunkingvideos doch ihre Wirksamkeit beweisen, denn die neuesten Coaching Videos versuchen sich durch Aussagen der Art "Das hier ist nicht wieder eines dieser zahllosen Fake Coach Videos" zu legitimieren.
Gleiche Machart und Abläufe
Zum Repertoir der Pseudo-Coaches gehört die Präsenz auf allen Social Media. Auf YouTube und Facebook werden die Werbungen gezahlt und eine Playlist mit Aussschnitten aus Erklär- oder Motivationsvideos aufgebaut. Auf TikTok und Instagram werden der Millionärs Lifestyle zelebriert, die Community und der Spassgewinn durch den oppulenten Luxus hervorgehoben.
Das Konzept in den Werbeeinschaltungen ist immer dasselbe, ein extrovertierter Selfmade Man versucht in den ersten Sekunden der Werbeeinspielung seine Kernbotschaft unterzubringen. Die lautet ungefähr “Wenn du jetzt nicht auf den Link klickst, selbst schuld, dann gehörst du nicht zu den ausgewählten Privilegierten, die am Wahnsinns Erfolg teilhaben werden.” Das ganze soll locker und persönlich wirken und ist mit zahllosen Superlativen und Ausrufezeichen versehen. Eingespielte Testimonials und Danksagungen an die Gurus von frühen erfolgreichen Teilnehmen beteuern Wirksamkeit des Modells. Sobald man dem Link gefolgt ist, und persönliche Daten auf einer Webseite des Coaches hinterlegt hat, folgt ein Anruf eines an den Provisionen beteiligten “affiliate” Mitarbeiters, um Interessenten zu einer Anmeldung zu beschwatzen.
Dabei wird üblicherweise auf die Verbindlichkeit der Anmeldung nicht besonders hingewiesen und die Kosten als nötige Anfangsinvestition für die versprochenen hohen Gewinne heruntergespielt. Im Erstgespräch oder mittels Videokonferenz Tool in einem Folgegespräch werden die Interessenten unter Zeitdruck gesetzt, und zum Vertragsabschluss gedrängt. Abgewickelt wird dieser über eine Wiederverkäuferplattform wie Copecart oder digistore24, die auch Ratenzahlungen anbietet und die Abmahnung der Beiträge übernehmen wird. In den uns vorliegenden Fällen zeigt sich immer wieder, dass bei den Rekrutierungsgesprächen durch die Affiliates nicht vollends über die wichtigsten Rahmenbedingungen wie Dauer, Kosten oder Rücktrittsrechte des Coachingvertrages informiert wurde. Erwähnt wurden zum Beispiel im Erstgespräch Kosten um die 500€, die Rechnung von Copecart belief sich in einem von uns betreuten Fall dann auf 5280 €.
Erfolgsgeheimnis ist leere Versprechung
Die zur Verfügung gestellten Inhalte stellen sich dann als wenig interessante Videos heraus, wo das vermittelte unspezifische Wissen auch durch bloßes Googlen im Internet hätte gefunden werden können. Im Servicepaket des Coachings ist meist eine Betreuung durch die Affiliates über Whatsapp oder Facebook Chat oder ähnliches enthalten. Teilnehmer erwarten sich naturgemäß nach der Anmeldung eine direkte Betreuung durch den Coach.
Allzu oft bekommen sie aber stattdessen nur Links zu vorab aufgezeichneten Videos mit inhaltsschwachen Phrasen zugeschickt. Die größte Dreistigkeit erlebt man, wenn statt einer ordentlichen Betreuung durch ein versprochenes Online Livetraining, dann eine aufgenommene Videoeinspielungen eingespielt wird, bei welcher der Coach so tut, als ob er auf von direkt gepostete Chatanfragen reagieren würde, um dem Gruppenchat einen Live Charakter zu geben.
ZDF-Satiriker Jan Böhmermann hat sich in seiner aktuellen Ausgabe des Magazin Royal die selbsternannten Business Coaches vorgenommen und spitzt die Problematik am 24.02.2023 gekonnt zu. Das halbstündige YouTube Video wurde binnen 2 Tagen nach Veröffentlichung über eine Million mal angesehen.
Widerrufsrecht besteht trotzdem
Das EVZ Österreich erreichen zunehmend Hilfeanfragen von Teilnehmern, die nach der Anmeldung auf einer Coaching Landing Page merken, dass sie einem sehr teuren Schwindel aufgesessen sind. In den uns betreuten Fällen beeinspruchen wir bei Zutreffen der Sachverhalte folgende Punkte juristisch:
- Da Betroffene noch keine Unternehmer sind, sondern sich auf die Tätigkeit mit dem Kurs erst vorbereiten möchten, gilt für sie das Konsumentenschutzgesetz für Verbraucher. Nach § 1 Abs. 3 österreichisches Konsumentenschutzgesetz zählen Geschäfte, die eine natürliche Person vor Aufnahme des Betriebes ihres Unternehmens zur Schaffung der Voraussetzungen dafür tätigt, noch nicht im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 KSchG zu diesem Betrieb.
- Wir gehen davon aus, dass Konsumenten hier dennoch ein Widerrufsrecht gemäß § 9 FAGG zusteht, da unserer Ansicht nach der Vertrag am Telefon und nicht vom Konsumenten alleine im Internet geschlossen wurde, sondern während sie von den Anrufern bedrängt wurden. In solchen Fällen sind Verbraucher bei per Telefon geschlossenen Verträgen erst dann gebunden, wenn die Vertragsunterlagen nach dem Telefonat zugeschickt wurden und das Angebot schriftlich angenommen wurde. Weiters gehen wir von Irreführung aus, Verbraucher scheinen hier mit unlauteren Methoden zu Vertragsabschlüssen gedrängt zu werden.
- Außerdem muss im Rekrutierungsgespräch eindeutig auf die Gesamtkosten des Coachings hingewiesen werden, wenn es sich etwa um ein einjähriges Coaching mit entsprechenden Kosten handeln soll. Oft wird aber nur ein Sonderrabatt oder die erste Monatszahlung erwähnt, es handelt sich also um eine klassische Abofalle. Sobald also dem Gesamtpreis mangels Aufklärung nicht zugestimmt wurde, stellt der Gesamtpreis auch keine Verpflichtung dar.
- Bei Verträgen über Online-Coachings handelt es sich aber ohnehin zum Teil - wenn nicht zur Gänze - um Dienstleistungsverträge mit den vereinbarten Beratungsleistungen als Gegenstand des Vertrags. Bei solchen kann das gesetzliche Rücktrittsrecht nur dann erlöschen, wenn die Leistungen zur Gänze erbracht wurden - sprich bei einem Vertrag mit 12 Monaten Laufzeit erst nach dem Jahr Laufzeit, da laut Vertrag die Dienstleistungen erst nach Ablauf der 12 Monate vollständig erbracht worden sein können.
- In einigen Fällen wurden hier Vorgaben bezüglich des Erlöschen des Widerrufsrechts bei Erbringung einer digitalen Dienstleistung nicht eingehalten, da Verbraucher die digitale Dienstleistung nicht runtergeladen hatten, sondern davor den Rücktritt vom Vertrag verlangten.
- Da die Kurse meist mehrere tausend Euro kosten, ist der objektive Wert der angebotenen Materialien und Leistungen in der Regel geringer als die halbe Kursgebühr. Laut § 934 AGBG kann man den Vertrag wegen der juristisch so genannten „Verkürzung über die Hälfte“ anfechten, egal ob man sich als Verbraucher oder Unternehmer (§ 343 Abs 3 iVm § 351 Unternehmensgesetzbuch) angemeldet hat.
Was tun, wenn man sich angemeldet hat?
Wenn Sie sich bereits angemeldet haben, und Sie mit einer hohen Geldforderung konfrontiert sind, können Sie den Vertrag wegen "Verkürzung über die Hälfte" (bei Wucher), wenn die beworbene Leistung gar nicht dem bezahlten Wert entspricht oder die Anmeldung selbst anfechten und beim Vertragspartner (die Rechnung kam zB von einer Reseller Plattform) den Widerruf erklären. Wurde Ihnen nach dem Anruf durch den Mitarbeiter oder Affiliate und dem Vertragsabschluss während des Telefonats (zB gemeinsames Ausfüllen der Online Anmeldung auf der Webseite CopeCart oder Digistore) der Vertrag überhaupt zum Unterschreiben zugeschickt?
Relevant ist außerdem in welcher Form (Download, Email, Login auf einer Plattform?) und Qualität Ihnen Schulungsunterlagen zur Verfügung gestellt wurden und ob sie diese in Anspruch genommen haben.
Überlegen Sie, ob Sie beim Rekrutierungsgespräch über Telefon über Ihre Rücktrittsrechte ausreichend informiert wurden! Auch wenn Sie auf der Webseite eventuell bestätigt haben sollten, auf das Rücktrittsrecht zu verzichten und die Aufklärung über Rücktrittsrechte, Verbindlichkeit der Anmeldung und wahre Kosten ungenügend war, können sie binnen eines Jahres ab Abschluss diesen Vertrag beeinspruchen.
Sollten Sie die Kursgebühr mittels Bankeinzug bezahlt haben (nicht SEPA) können Sie Ihre Bank ohne Angabe von Gründen anweisen innerhalb von 8 Wochen diesen genauen Betrag zurückzuholen und die Buchung rückgängig zu machen.
Da viele Fälle in Deutschland ansässige Coaches und deren Firmen betreffen, intervenieren die Europäischen Verbraucherzentren Österreich und Deutschland gemeinsam und können Sie in diesen Fällen kostenfrei unterstützen.
Wenn der folgende Musterbrief auf Ihre Situation zutrifft können Sie den Vetrag damit anfechten. Wenn Sie unsicher sind, ob die darin beschriebenen Tatsachen bei Ihnen zutreffen, dann wenden Sie sich bitte an unsere kostenlose Hotline am Dienstag und Donnerstag von 9 bis 13 Uhr unter 01-588 77 81.
Links
Warnartikel über Bitcoin Betrug des Crypto-Experten Markus Miller
https://www.network-karriere.com/2019/05/08/pulse-empire-warnung-vor-dem-digitalen-unsinn/
Warnung vor Pulse Empire im größten Direktvermarktungsforum
https://seo-portal.de/forum/topic/79333-pulse-empire/
Blogbeitrag von Dr. Gladt (Internet Ombudsstelle) mit ausführlicher juristischer Erklärung
https://www.ombudsstelle.at/aktuelles/beschwerden-wegen-kostspieliger-online-coachings/?sword_list%5B0%5D=coaching&no_c…
Warnseite der US Börsenaufsicht mit zahllosen Beispielen
https://www.sec.gov/oiea/investor-alerts-and-bulletins/ia_dontfallscam
International Organization for Business Coaching
https://www.iobc.org/
Qualitätsstandards des deutschen Coachingverbandes
https://www.dbvc.de/standards
Qualitätskriterien des Österreichischen Dachverbandes für Coaching
https://coachingdachverband.at/coaching/qualitaetskriterien/
Artikel des Tageszeitung "Der Standard" (7.1.2022): "Das fragwürdige Geschäft der Online-Coaches"
https://www.derstandard.at/story/2000132313386/das-fragwuerdige-geschaeft-der-online-coaches
Onlineartikel der "ORF Help" Redaktion (09/2021): "Schnell reich werden: Abzocke mit Coachingvideos"
https://help.orf.at/stories/3208471/
Tiktok Beitrag der Tageszeitung "Kleine Zeitung" (20.2.2022) zu fragwürdigen Coachings durch W.Temmer
https://www.tiktok.com/@kleinezeitung/video/7066376401171041541?fbclid=IwAR0Kl3MAV51YF7h_VnEtF0DaqacQVspX9qopk46LOEqgHV…
Artikel der Tageszeitung "Krone" (19.2.2022): "Walter Temmer im Visier der Konsumentenschützer"
https://www.krone.at/2632585
Artikel der Tageszeitung "Heute" (22.2.2022): "Kritik an Online-Coachings von TV-Millionär Temmer"
https://www.heute.at/s/kritik-an-online-coachings-von-atv-millionaer-temmer-100191567
ATV Beitrag aus der Serie "Reingelegt!" (08.05.2024): Die Coaching-Falle/ Krypto-Betrug
https://www.atv.at/tv/reingelegt/staffel-03/episode-04/die-coaching-falle-krypto-betrug