Neue Schutzregeln für das Internet - DSA & DMA
Internetplattformen sollen im Kampf gegen Hass im Netz stärker in die Pflicht genommen und die Übermacht von Onlinegiganten wie Alphabet (Google) oder Meta (Facebook) soll eingeschränkt werden. Die EU ist diesen Zielen kurz vor dem Wochenende einen Schritt nähergekommen und folgt dem Ruf der französischen Ratspräsidentschaft nach einer stärkeren Regulierung. Big Tech Unternehmen sollen künftig mit hohen Strafen belegt werden, wenn auf ihren Diensten illegaler Content verbreitet wird. Für den gesamtgesellschaftlich relevanten Bereich hat die EU den Digital Service Act auf den Weg gebracht, für den marktrelevanten Bereich den Digital Market Act. Auf diesen beiden Säulen basiert die digitale Offensive Europas gegen die Übermacht von Onlineriesen. Man rechnet mit weltweiten Auswirkungen auf das Internet.
Hintergrund - die Macht der Big 5
Die „Big Five“ Tech-Giganten gehören zu den Unternehmen, mit denen Sie als Konsument*in im Laufe Ihres Lebens am öftesten in Berührung kommen. Es handelt sich dabei um die amerikanischen Konzerne Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (oft als "GAFAM", "Big Tech" oder "Big 5" zusammengefasst). Probleme mit den Internetgiganten erwachsen aus der Marktverdichtung, indem diese relevante Konkurrenten und erfolgreiche Startups aufkaufen. Diese solchermaßen gesicherte Marktmacht spielen die GAFAM Konzerne dann im Umgang mit uns, den einzelnen Anwender*ìnnen aus.
Das Quasimonopol vom Microsofts Windows Betriebssystem ist zwar in den letzten 10 Jahren von fast 90 % aller weltweit laufenden Computer auf rund dreiviertel gesunken. Dennoch wurden noch nie so viele Daten von Microsoft gesammelt wie seit der Einführung von Windows 10 (Browserverlaufsdaten) und der Einführung des integrierten Sprachassistenzdienstes Cortana, wenn Nutzer*innen sich nicht die Mühe machen, Voreinstellungen einzuschränken. Der Hunger beim Sammeln von Big Data ist den GAFAM Konzernen gemein, auch die Assistenzdienste von Apple (Siri) oder Amazon (Alexa) verhalten sich ähnlich. Die Strategie von Apple ist seit je her Software von Drittanbietern möglichst vom eigenen Ökosystem aus Betriebssystemen und Gerätefamilie fernzuhalten. Ein weiteres Beispiel für das Ausspielen von Marktmacht ist der schon länger zurückliegende Erwerb von WhatsApp und Instagram durch Marc Zuckerbergs Facebook Konzern. Zuckerberg hatte so nun alle vier am meisten herruntergeladene Social Media Apps des letzten Jahrzehnts in einer Hand und Facebook ließ sich damals den Kauf von Whatsapp 19,6 Milliarden $ kosten. Das ist viel, allerdings setzte Meta (ehemals Facebook) allein in Europa letztes Jahr rund 29 Milliarden US Dollar um. Diese Investments amortisierte sich schon lange und die Vormachtstellung ist zementiert. So entstandene Konglomerate haben kaum noch Konkurrenz und bestimmen mit ihren monopolistischen Methoden die Realität nahezu aller Social Media Nutzer*innen.
Um die gesellschaftlich negativen Auswirklungen davon ins Gedächtnis zu rufen, sei an die Reihe von Skandalen erinnert, in denen Facebook Userdaten missbräuchlich verwendet hatte. Nennenswert sind zum Beispiel die Empörung rund um Cambridge Analytica, die Kampagne gegen die DSGVO und der wirtschaftliche Druck gegen kritische PR Agenturen, die Schaltung von manipulativen "Dark Ads" und Desinformation währender der Brexit Kampagne und der US Präsidentenwahl von 2016 (Trump - Clinton). Die aktuellere Kritik an Facebook stammt von der Whistleblowerin und ehemaligen Facebook Managerin Frances Haugen. Diese betont, dass Facebook aus Profitinteresse bewusst Algorithmen einsetzt, die polarisierende Inhalte förderten.
Es verwundert daher nicht, dass es 2021 einen massiven Vertrauensverlust bei WhatsApp Usern gab, als versucht wurde nachteilige Datenschutzbestimmungen einzuführen. Nachträglich ruderte Meta wegen der unerwartet hohen Ablehnung wieder zurück und revidierte diese Anpassungen zum Teil. Dass dies nicht ausreicht, zeigt auch die aktuelle erfolgreiche VKI Klage gegen Whatsapp. Es ist erfreulich, dass Menschen um ihre Daten besorgt sind, und Großkonzerne durch passive Verweigerung zum Einlenken bewegen können. Dennoch waren schon lange härtere gesetzliche Vorgaben dringend notwendig. In diesem Sinne erwarten wir mit Spannung das für Donnerstag (28.4.2022) erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Klage des deutschen Verbraucherschutzverbandes gegen Facebook Ireland. Der Vorwurf hier sind unlauterer Wettbewerb und der Missbrauch personenbezogener Daten beim Anbieten von gratis Onlinespielen von Drittfirmen im " App-Zentrum“ von Facebook.
Die EU hat in ihrem Positionspapier zum Digitalpaket folgende gesellschaftliche Problembereiche ausgemacht und geht gegen so bezeichnete "systemischen Bedrohungen" legislativ vor:
- Verbreitung von illegalen Inhalten
- nachteilige Auswirkungen auf die Grundrechte
- Manipulation von Diensten mit Auswirkungen auf demokratische Prozesse und die öffentliche Sicherheit
- nachteilige Auswirkungen auf geschlechtsspezifische Gewalt und auf Minderjährige sowie schwerwiegende Folgen für die körperliche oder geistige Gesundheit der Nutzer
Digital Service Act - DSA
Das Gesetzespaket soll Menschen im Internet besser schützen, die digitalen Grundrechte sichern und den digitalen Raum sicherer machen, indem den Internetkonzernen strengere Regeln aufgebürdet werden. Nach 16 Stunden Verhandlungsmarathon kam es am Samstag in Brüssel in einem Trilog zwischen EU-Parlament, EU-Kommissaren und dem EU-Rat (Minister der Einzelstaaten) schließlich zu einer Einigung. Das Gesetz über digitale Dienste wird ab 2023 für eine strengere Aufsicht von Onlineplattformen und mehr Schutz für Verbraucher sorgen. Der DSA wurde schon im Dezember 2020 durch die EU-Kommission als Teil eines großen Digitalpakets vorgeschlagen.
Seither gaben die größten Digital-Firmen jährlich mehr als 5 Millionen Euro für Lobbyismus in der EU aus, und versuchten Einfluss auf die Ausgestaltung der Gesetze auszuüben. Apple monierte, das vorgeschriebene Zulassen plattformfremder Apps würde ein Sicherheitsrisiko bedeuten. Facebook argumentiert die Produktinnovation durch zu starke politische Reglementierung gefährdet zu sehen. Neben den Big 5 ist auch das intensive Lobbying des chinesischen Großkonzerns Huawei interessant. Dieser stand in Spionage- und Korruptionsskandalen in osteuropäischen Ländern wiederholt massiv unter Kritik.
Vorgaben des DSA
Die Grundidee ist, dass Verhalten, welches in der Offline - Welt als illegal gilt, auch Online verboten sein muss. Die bisherige Unschärfe darüber, was im Internet als legal oder illegal durchgeht, soll durch eine neue Rechtssicherheit reduziert werden. Vorteile durch so vereinheitlichte Regeln erhofft sich die EU somit auch für die Anbieter digitaler Dienste. Die Einhaltung dieser neuen Regeln wird auf europäischer Ebene entsprechend dem Prinzip des Ursprungslandes in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten überprüft. Es betrifft alle digitalen Onlinedienste, die
- Marktplätze (auch Vermittlungsdienste, App-Stores)
- soziale Netzwerke
- Plattformen zum Austausch von Inhalten
- Plattformen für Reisen und Unterbringung
- Suchmaschinen
- Cloud-Dienste
- Werbedienste
zur Verfügung stellen. Real betrifft dieses Grenzziehung etwa 20 Großunternehmen. Für kleinere Firmen werden nicht alle Bestimmungen gelten.
Der DSA folgt somit der Logik der Reichweite und definiert sogenannte "Gatekeeper", die einen elementaren Einfluss auf den Europäischen Binnenmarkt und seine Gesellschaften haben. Je mehr Nutzer und somit Einfluss ein Dienst hat, desto strenger sind die Regeln. Die Größe dieser Onlinedienste ist folgendermaßen definiert: Sie haben 45 Millionen Nutzer oder 10.000 gewerbliche Kunden pro Jahr in der EU. Oder sie haben einen Börsenwert von mindestens 75 oder einen Jahresumsatz von 7,5 Milliarden Euro.
Ab der Einführung des DSA müssen die größten Internetfirmen unter anderem:
- Illegale Inhalte schneller aus dem Netz entfernen (z.B. Hassrede, Strafbestand Volksverhetzung, usw.)
- Das Verbreiten von Desinformation und Kriegspropaganda unterlassen (Eigener Krisenparagraph - z.B. Verbot von Inhalten des Senders Russia Today)
- Dark Patterns abschaffen. (Wenn Nutzer bewusst in die Irre geführt werden, um ihnen abträglichen Einstellungen zuzustimmen. z.B. Cookie Zustimmung leichter navigierbar machen als die Ablehnung usw.)
- Nutzern Vorschläge (Angebote) in ihren Empfehlungssysteme unterbreiten können, die nicht auf Profiling - Daten basieren. (opt - in bleibt möglich)
- Sensible Daten wie sexuelle Orientierung, politische Einstellung und Religionszugehörigkeit nicht für gezielte Werbung nutzen.
- Wenn Algorithmen Minderjährige identifizieren, darf ihnen keine personalisierte Werbung angezeigt werden.
- Wenn User regelverstoßende Inhalte melden, diese User über weiteres Vorgehen informieren.
- Anzeigen für gefälschte Produkte von Onlinemarktplätzen entfernen.
Digital Market Act - DMA
Die geltenden EU Regeln zu Internetdiensten stammen aus der Jahrtausendwende und sind angesichts der vorangeschrittenen Marktverdichtung nicht mehr zeitgemäß. Das Handelsvolumen des E-Commerce in der EU, generiert durch rund 500 Millionen Verkaufsabschlüsse online, ergab 2021 die beeindruckende Summe von 757 Milliarden Euro. Vor 20 Jahren wurde noch eher an die Förderung der sich neu entfaltenden digitalen europäischen Dienste gedacht, als an den Schutz vor den Big 5 aus den USA. Der neue Gesetzesentwurf passierte im Jänner 2022 das EU Parlament und im März 2022 einigte sich dieses mit nationalen Unterhändlern darüber, dass die Marktmacht der Internetriesen reduziert und ein fairerer Wettbewerb zwischen den Digitalunternehmen hergestellt werden soll.
Der DMA verbietet die Bevorzugung plattformeigener gegenüber plattformfremden Dienstleistungen und Produkten. Zudem erhalten gewerbliche Nutzer*innen Zugriff auf die auf Plattformen generierten Daten, um dem massiven Wettbewerbsnachteil nicht mehr länger ausgesetzt zu sein. Der Begriff "Gatekeeper", mit welchem die größtem Firmen im Gesetz zusammengefasst werden, unterstreicht das wettbewerbsfeindliche Verhalten jener Marktführer, die es bisher sehr erfolgreich verstanden, Konkurrenz von der eigenen Nutzerschaft fernzuhalten. Nachträglich und spät versucht die EU die Schieflage in der Chancengleichheit der unterentwickelten europäischen Digitalunternehmen im Konkurrenzkampf mit den US Riesen auszugleichen. Man rechnet mit einer Ersparnis von 15,5 Milliarden Euro bei Transaktionen für Klein- und Mittelständische europäische Unternehmen (SME). Der Vorteil im DMA für Verbraucher*innen liegt vor allem darin, dass sich die Wahlfreiheit bei Online-Angeboten vergrößern wird. Kalkuliert wird mit einer Zunahme von 13,5 % bei grenzüberschreitenden Bestellungen ab Einführung. Die Selbstbevorzugung der eigenen Angebote und Dienste der Internetriesen wird folgendermaßen eingeschränkt:
- Transparenzverpflichtungen zu den angewandten Algorithmen in den AGB der Onlineplattformen
- Verbraucher müssen Empfehlungen nachvollziehen und beeinflussen können (z.B. was sie in ihrem Newsfeed zu sehen bekommen; wer für die angezeigte Werbung bezahlt hat).
- Mehr Handhabe oder Möglichkeit zur Ablehnung personalisierter Werbung für Verbraucher.
- Plattformen dürfen Beiträge (z.B. negative Rezensionen) künftig nicht mehr willkürlich löschen.
- Nutzer müssen vorinstallierte Apps (z.B. Smartphone) löschen können.
- Transparenzverpflichtungen bei Online Marketplaces - Drittanbieter von Waren und Dienstleistungen auf Plattformen müssen für Verbraucher eindeutig erkennbar sein.
- Verbraucher sollen einen Dienst nutzen können, ohne dabei einer Datenbündelung über alle Dienste desselben Anbieters hinweg zustimmen zu müssen.
- Ende der Selbstbevorzugung durch digitale Unternehmen. Sie müssen gesammelte Metadaten der Konkurrenz zugänglich machen, um faireren Wettbewerb sicherzustellen.
- Mehr Kontrolle bei Firmenübernahmen großer Digitalunternehmen durch die EU Marktaufsicht, um Monopolbildung zu verhindern.
- Zugang der Kontrollorgane der EU-Kommission im Land der EU Niederlassung zu den Gatekeeper Daten, um Einhaltung der neuen Regeln überprüfen zu können.
Der DSA und DMA müssen als Standbeine der neuen EU Internet - Gesetzgebung in den nächsten zwei Monaten nur noch eher formelle Hürden in der EU Kommission, im EU Parlament als auch beim Permanent Representatives Committee (Coreper) nehmen und juristisch geprüft werden. Zusammen sollen sie voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023 gültig werden. Die Verordnung muss dann innerhalb von sechs Monaten nach ihrem Inkrafttreten in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.
Für digitale Großunternehmen werden so mit der Einführung des DSA in 2023 harte Strafen möglich. Wenn Gatekeeper gegen die neuen Vorschriften verstoßen, drohen bis zu 10 % der weltweiten Gesamtumsatzes an Geldbuße. Im Wiederholungsfall kann dies bis auf 20 % erhöht werden. Bei systematischem Verstoß gegen DMA Vorschriften, d.h. dreimal in acht Jahren, kann die Europäische Kommission strukturelle Strafmaßnahmen ergreifen (bis hin zur Zerschlagung des europäischen Zweiges des Großunternehmens durch Lizenzentzug). Außerdem ist ein Zwangsgeld von fünf Prozent des Tagesumsatzes vorgesehen, um Firmen dazu zu bewegen, einen Verstoß schnell zu beenden. Die Einführung des DMA ist mit Oktober 2022 angepeilt.
Links
Infografik (EU Kommission) mit Zahlenmaterial zum DSA
https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/digital-services-act/
Presseaussendung der EU zum DSA
https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/04/23/digital-services-act-council-and-european-parliament…
Wissenschaftliche Quellen des Instituts für Europäisches Medienrecht zur empfohlenen Ausgestaltung des DSA und DMA
https://emr-sb.de/themen/dma-dsa/