Ausblick auf neue EU Bahnfahrgastrechte
Die EU verfolgt das Ziel bis 2050 klimaneutral zu werden und für diese Klimaziele ist eine Verlagerung des Transportwesens auf mehr Bahnverkehr entscheidend. Bahnfahren muss daher für alle Reisenden attraktiver werden.
Nach Verhandlungen im Oktober 2020 bestätigten Anfang 2021 das EU-Parlament und der Rat der EU - sprich die Regierungen und Verkehrsminister der Mitgliedsstaaten - die Reform der Fahrgastrechte. Die Regelung tritt somit zum größten Teil im Jahr 2023 in Form von nationalen Gesetzen in Kraft. Bis dahin gilt die EU Verordnung 1371/2007 weiterhin. Phasenweise werden bestehende Ausnahmen von den Regeln, auf die sich Eisenbahngesellschaften seit 2009 noch berufen können, ihre Gültigkeit verlieren. Die größten Änderungen zu den bestehenden Vorgaben betreffen die Entschädigungspflicht durch Eisenbahnunternehmen bei höherer Gewalt, Rechte von Reisenden mit eingeschränkter Mobilität, die Mitnahme von Fahrrädern und die Regel für Durchgangsfahrkarten, d.h. wenn die Bahnfahrt mit mehreren Abschnitten und Fahrkarten unternommen wird.
Keine Entschädigung mehr bei höherer Gewalt
Anders als im November 2018, als das EU Parlament mit 533 Ja-Stimmen und 37 Nein-Stimmen noch die höhere Gewalt als Entschädigungsgrund in der Regelung verankern wollte, fiel sie beim neuesten Beschluss des Rates im Jänner 2021 als Entschädigungsgrund aus dem Gesetzestext und wurde so vom Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments bestätigt. Dass die Erfahrungen mit wirtschaftlichen Konsequenzen durch die Cov-Pandemie im Personentransportsektor den Ratsbeschluss beeinflusst haben ist klar, allerdings schlug die Kommission schon 2018 dem Parlament eine Klausel vor, die höhere Gewalt als Entschädigungsgrund zu kippen. Bei der Abschwächung der Passagierrechte wurde argumentiert, dass andere Verkehrsmittel (Flug, Schiffs- und Busverkehr) bei höherer Gewalt auch nicht entschädigen müssen und somit die Bahn im Wettbewerb mit diesen Anbietern nicht schlechter gestellt sein soll.
Aus der Sicht der Fahrgäste ist diese Änderung keine Verbesserung. Bei Verspätungen oder Ausfällen infolge höherer Gewalt gibt es ab 2023 keine Entschädigungspflicht durch das Bahnunternehmen mehr, wenn dieses die Verspätungen oder Ausfälle trotz größter Sorgfalt nicht hätte vermeiden können. Es wird sich zeigen, wie oft Bahnunternehmen dies nutzen werden, um Erstattung an betroffene Fahrgäste abzulehnen, so wie es zum Ärgernis der Reisenden etwa im Flugverkehr oft gehandhabt wurde. Tröstend ist zumindest, dass bei der Bahn außergewöhnliche Umstände in der Regel nur zu einem sehr geringen Teil die Gründe sind, die Verspätungen verursachen oder gar Züge ausfallen lassen.
Was also sind diese außergewöhnlichen und beweisbaren Gründe, die nicht mit dem Betrieb der Bahn zusammenhängen und das Unternehmen von Erstattungspflichten befreien?
Definition der höheren Gewalt
- Laut Gesetzestext (Chapter IV, Art.17) sind das "extreme Witterungsverhältnisse, größere Naturkatastrophen oder größere Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die das Eisenbahnunternehmen trotz Anwendung der nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen nicht abwenden konnte."
- Weiters sind das "Verhalten eines Dritten, welches das Eisenbahnunternehmen trotz Anwendung der nach den besonderen Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen nicht verhindern konnte, wie z. B. Personen auf dem Gleis, Kabeldiebstahl, Notfälle an Bord, Strafverfolgungsmaßnahmen, Sabotage oder Terrorismus."
- Streiks von Bahnmitarbeitern oder bei konzessionierten Drittfirmen sind dezidiert keine höhere Gewalt.
Bahnunternehmen werden darüber hinaus dazu verpflichtet, ihre Fahrgäste bei Verspätungen und Zugausfällen umzuleiten oder nach Möglichkeit mit alternativen Transportmitteln ans Ziel, an den Ausgangspunkt oder auf Wunsch an einem späteren Tag zu befördern.
Durchgangstickets
Neu eingeführt wird die Verpflichtung für Bahnunternehmen, für alle Teilstrecken einer längeren Verbindung mit Fern- und Regionalzügen eine einheitliche Fahrkarte auszustellen, wenn die Teilstrecken von ihnen selbst angeboten werden.
- Die Fahrgäste müssen eindeutig darüber informiert werden, ob es sich bei den in einer einzigen Transaktion gekauften Fahrkarten um eine Durchgangsfahrkarte handelt. Andernfalls haftet das Eisenbahnunternehmen so, als ob diese Fahrkarten Durchgangsfahrkarten wären.
- Dies verbessert die Rechte der Reisenden erheblich, wenn sie unterwegs einen Anschlusszug verpassen. Deren Anspruch auf Entschädigung richtet sich somit nach der Dauer der Verspätung, mit welcher der Zielort erreicht wird, auch wenn die Fahrt in Stücken absolviert wurde.
Dieser Teil im Gesetzestext ist erfreulich, aber so ähnlich wie oben beschrieben bei der "höheren Gewalt" ein Kompromiss der Verkehrsminister der Mitgliedstaaten. Weitergehende Forderungen von Interessensgruppen, die primär Fahrgäste vertreten, gingen darüber hinaus und wollten unabhängige Eisenbahnunternehmen dazu verpflichten, gemeinsame Tickets anzubieten, auch wenn diese eigenständige Unternehmen sind, etwa bei grenzüberschreitenden Fahrten.
- Sogenannte Durchgangsfahrkarten werden somit bei einer Reise mit Umstieg vom Regional- in den Fernverkehr nur dann verpflichtend, wenn alle Züge vom selben Unternehmen (oder dessen 100 prozentigen Tochterunternehmen) durchgeführt werden.
Schienenersatzverkehr
Hilfe beim Aus- und Umsteigen bei körperlicher Einschränkung
Fahrräder
Infos in Echtzeit
Links
Volltext der aktuell gültigen Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 zu Bahnfahrgastrechten (DE)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM%3Al24003
Volltext der kommende EU Verordnung 2021 (noch nicht indiziert) zu Bahnfahrgastrechten (EN)
https://europakonsument.at/system/files/2021-04/ST_12262_2020_INIT_en.pdf
Unser Artikel zu aktuell (noch) gültigen Rechten beim Bahnfahren
https://europakonsument.at/fahrgastrechte-bei-bahnreisen/5661